Freitag, 29. Juli 2016

Speziallinsen

Um die gewünschte Wirkung einer Kameraeinstellung im Film zu verstärken, gibt es für Kameramänner und -frauen eine Reihe von speziellen Optikvorsätzen als Gestaltungsmittel.

Sie alle verändern am ursprünglichen Bild einen Gestaltungsaspekt und verfremden es.

Für diesen Artikel habe ich diese Linsen in drei Funktionsgruppen unterteilt:

I. Farbe
II. Verzerrung
III. Masken und Oberflächen
Danach noch ein kleiner "Exkurs"
IV. DIY oder Improvisation





Wenn nicht weiter im Erläuterungstext beschrieben, werden die meisten genannten Linsen und Filter wie in der Abbildung vor das Objektiv angebracht. Filter, die aus Gelatine bestehen, werden recht simpel in einen Halter gesteckt (rechts). Glasfilter werden meist vor das Objektiv eingeschraubt, können aber auch mit Hilfe von Adaptern wie Gelatinefilter an verschiedene Durchmesser der Objektive angepasst werden.



I. FARBE


1. Farbfilter

Es gibt Farbfilter, die die Farbgebung des Motivs verändern. Sie beeinflussen unter anderem die "Temperatur" der Farbwiedergabe.
Zu Zeiten der Schwarz-Weiß-Filme nutzte man Farbfilter um bestimmte Elemente des Bildes besser hervorzuheben, ihm eine anderen Schwarz- oder Weißton zu geben.
So nutzte man beispielsweise einen gelben Filter, um den blauen Himmel dunkler erscheinen zu lassen und die Wolken hervorzuheben. (gelb = Komplementärkontrast zu blau) und durch einen Grünfilter wirkt grünes Laub heller.
Dabei gab es immer das Prinzip zu beachten, dass die eigene Farbe heller, der Komplementärkontrast dunkler erscheint.



2. Day-for-Night

Es gibt die Möglichkeit für Filmemacher, Nachtaufnahmen am Tage zu drehen mit Hilfe einer Day for Night Linse. Wenn man diese blaugefärbte Linse vor das Objektiv setzt und die Kamera um einige Blendenwerte unterbelichtet, kann eine Nachtlichtsituation simuliert werden.



3. Verlaufsfilter
3.1 Verlaufsfilter mit Farbe

Verlaufsfilter gibt es zum einen farbig, sie sind in der oberen Hälfte eingefärbt und gehen etwa in der Mitte der Linse allmählich zu klarem Glas über. Damit hat man die Möglichkeit, Himmel einzufärben und abzudunkeln, ohne die untere Hälfte des Bildes zu beeinflussen. Der Übergang wird für gewöhnlich durch die Horizontlinie kaschiert.



3.2 Verlaufsfilter mit Neutraldichte (ND)

Neutraldichte (Englisch Neutral Density) Filter im Allgemeinen sind grau bis schwarz getönte Linsen. Sie blenden bzw. dunkeln das Bild ab, ohne dabei die Farbe zu verändern.
ND Verlaufsfilter gibt es mit unterschiedlichen Übergängen (mehr ND, mehr klar, 1:1 . Wenn man die Brennweite verändert, können unterschiedliche Wirkungen erzielt werden.

4. Diopter

Ein Diopter bzw Vorsatzlinse ermöglicht nahe Aufnahmen zu machen mit einem normalen Objektiv (bzw mit einer Festbrennweite).




Im folgenden Beispiel (Ausschnitt eines Youtube Videos zur Holga Turret Lens (HLT-C)) werden das Aussehen und die Wirkung sowohl der verschiedenen Arten von Farbfiltern als auch der Prismenfilter  (II. VERZERRUNG) deutlich.





II. VERZERRUNG

1. Fischauge


Extremes Weitwinkelobjektiv, welches Motive kreis- bzw. kugelförmig, nach außen stark verzerrt, abbildet.
Der folgende Ausschnitt stammt aus der Skandalserie "Skins". Der Teenager Chris ist im Rausch von seinen eingeworfenen Drogen. Dem Zuschauer wird die Wahrnehmungsverzerrung und Schwindelgefühl verdeutlicht.






2. Prismenfilter


Prismenfilter, auch "Tricklinsen" genannt, bilden mit drei oder mehr Flächen das Motiv mehrfach, teils verzerrt, ab und es entstehen traumhafte Muster. Die Aufteilung der Prismen gibt es unter anderem in radialer und parelleler Form.
Die Wirkung können Sie im Video zu Holga Turret Lens unter I. FARBE entnehmen.










3. Split-Field-Diopter


Split-Field-Diopter, oder zu Deutsch Teilbildlinse, ist eine halbe Vorsatzlinse, die es ermöglicht, zwei Bildteile unterschiedlicher Entfernung gleich scharf abzubilden. Sie eignet sich in den meisten Fällen nur für statische Aufnahmen, da durch die Linse eine harte Kante in der Mitte des Bildes entsteht.

zum Vimeo Video "Blow Out" Teilbildlinse






4. Sterneffektfilter


Sterneffektfilter, auch Gitterfilter genannt, verbreiten Spitzlichter in sternförmige Strahlen. Auf der Oberfläche der Linse sind gitterförmige Linien graviert. Abhängig von der Gitterform entstehen unterschiedlich viele Spikes (=Lichtkanten) im Motiv. Der Filter ist geeignet für Wasserlichter, Gegenlichtsituationen und Kerzenschein. Besonders beliebt und gern genutzt wurde er in den 70er- und 80er-Jahren (Beispiel siehe unten: Abba). Der Effekt ist variabel durch die Blendenöffnung und durch rotieren der Linse drehen sich auch die Spikes mit.





III. MASKEN und OBERFLÄCHEN

1. Maskenformen


Balgenkompendium, in das man Masken einschieben kann
Masken sind eine Art Schablonen, die aus Karton oder Blech bestehen und einen Teil des Motivs verdecken. Im Allgemeinen werden sie durch ein Balgenkompendium (siehe Abbildung oben) vor dem Objektiv eingeschoben. Durch eine Fernglas- oder Schlüsselloch-Maske können POVs unterstützt werden und gibt dem Zuschauer ein besonderes Gefühl, auch das sehen zu können, was der Darsteller gerade heimlich beoachtet.
Beim ersten Filmausschnitt (aus "The Lead Shoes") wurde eine kreisförmige Maske verwendet. Es macht den Eindruck, als wäre habe man die Geschehenisse durch ein Fernrohr gesehen. In gewisser Weise wird durch diese Maske das Motiv eingerahmt.
Im unteren Schlüsselloch-Beispiel aus "Requiem of a Dream" können wir zusätzlich eine "getrennte Leinwand" beobachten. Dabei wurde wahrscheinlich die Szenerien links (die eingesperrte Mutter) und rechts (der aufgebrachte Sohn) getrennt aufgenommen. Die Bildhälfte, die nicht belichtet werden soll, wurde mit einer rechteckigen schwarzen Maske bedeckt.



Makse für eine geteile Leinwand


2. Polarisationsfilter (auch "Pol(i)filter") 


Ein sehr nützlicher Filter, der Licht nur im gewissen Winkel durchlässt, sodass Spiegelungen von nichtmetallischen Oberflächen wie Wasser, Glas oder Kunststoff ganz leicht entfernt werden können.


3. Weichzeichner




Weichzeichner ergeben sanfte und romantische Stimmungen, er lässt das Bild verschwimmen, ohne an der Bildschärfe etwas zu verändern. Der Kontrast des Bildes wird verringert. Oftmals werden Frauen mit Weichzeichnern in Filmen inszeniert, die Linse lässt die Haut strahlen und zart erscheinen. Es gibt Weichzeichner auch in partieller oder tropfenartiger Ausführung. Er ähnelt dem Gaußschen Weichzeichner in der Bildbearbeitung.




IV. DIY (Do It Yourself) oder IMPROVISATION


Was am Ende zählt, ist das visuelle Ergebnis. Einige Effekte lassen sich auch mit ganz einfachen Mitteln selbst basteln.
Es ist nicht unüblich, eine Strumpfhose über das Objektiv zu stülpen oder einen neutralen Filter mit Fett (beispielsweise Vaseline) zu beschmieren und diese vor das Objektiv zu setzen, um das Bild diffuser zu machen. Simple Farbfolien färben auch ein Filmbild in einer gewünschten Farbe ein.
Im folgenden Beispiel "Schmetterling und Taucherglocke", in dem in der Anfangsszene der Protagonist nach seinem schweren Unfall benommen aus seinem Koma erwacht, nutzte Kameramann Kaminski eine alltägliche Brille, um den subjektiven Blick verschwimmen zu lassen. Außerdem ließ das Filmteam ein Latex Augenlider anfertigen, um direkt vor der Kamera das Auge zunähen zu können. So wurde ein Schmerz fast spürbar gemacht.






Fazit

Ein enormer Vorteil von Speziallinsen ist, dass Effekte unabhängig von einem Lichtdepartment am Set umgesetzt werden können, was in Notsituationen trotzdem noch kreative Freiheiten verschaffen kann.
Heutzutage können einige der genannten Effekte auch mit Hilfe von Computern nachträglich bearbeitet und eingefügt werden und man benötigt im Grunde genommen die Linse nicht mehr. Dennoch sollte man in den meisten Fällen nicht auf den Gebrauch solcher Linsen verzichten, denn am Set selbst wirken die meisten Effekte ästhetischer und authentischer als digital nachbearbeitet.


Quellen:


"Filmen" David Cheshire - Hallwag Verlag Bern und Stuttgart 1981
"Kameraautoren - Technik und Ästhetik" Thomas Brandlmeier, Schüren Verlag Marburg 2008
"Professionelle Kameratechnik und Aufnahmegestaltung Betacam, DigiBeta und IMX im aktuellen Einsatz" Mark Wagener, Mediabook Verlag Gau-Heppenheim 2003

"Requiem for a Dream"
Regie: Darren Aronofsky
Erscheinungsjahr: 2000
97 Minuten

"Skins - Hautnah" (Originaltitel "Skins UK")
Episode 4 "Chris"
Regie: Adam Smith
Erstausstrahlung: 2007
47 Minuten

"Thank You For The Music" - ABBA
Video veröffentlicht von AbbaVEVO auf Youtube
Erscheinungsjahr: 1977 by Polar Music International AB

"Weird lens reviews: Holga Turret Lens (HLT-C) with samples"
Video veröffentlicht von Christopher Frost Photography auf Youtube
7 Minuten

https://vimeo.com/76478462 Teilbildlinse

https://de.wikipedia.org/wiki/Effektfilter

"Schmetterling und Taucherglocke" (Original "Le scaphandre et le papillon")
Regie: Julian Schnabel
Erscheinungsjahr: 2007
153 Minuten
DVD Bonusmaterial: "Augenblicke - Janusz Kaminskis Kameravision
7 Minuten

"The Lead Shoes"
Regie: Sidney Peterson
Erscheinungsjahr: 1949 US
16 Minuten

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen