Mittwoch, 27. Juli 2016

Hollywood-Continuity

"Der unsichtbare Schnitt"
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Die Erzählung einer Filmgeschichte geschieht dann besonders intensiv, wenn dem Zuschauer die offensichtliche Tatsache, dass es sich eben nur um einen Film handelt so wenig wie möglich bewusst wird. Dieser Aufgabe widmet sich die bis heute gängigste Erzählform – die Hollywood Continuity.

Der Begriff Continuity (Anschluss, Kontinuität) bezieht sich dabei auf zwei Kernbereiche: Den bildlichen Anschluss während der Handlung und der geplanten Montageform.  
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"Anschluss/Kontinuität im Handlungsbild":

Mit Anschluss im Handlungsbild sind visuelle Gegebenheiten gemeint, die sich während der Dreharbeiten ungeplant verändern und im darauffolgenden Schnitt zum erheblichen Problem werden können.

Beispiel: 

Während einer Dialogszene wird zwischen zwei Protagonisten abwechselnd geschnitten. Verändert sich zwischen einer der Schnittbilder die Anordnung der Haarfrisur eines Protagonisten, die Art wie ihre Kleidung fällt, Position von Objekten im Raum oder die Lichtverhältnisse, ohne, dass es Hinweise darauf gibt, die eine solche Veränderung erklären würden, so wird die Illusion der Erzählung in Echtzeit gebrochen.
  
Durch das zur Regieabteilung zugehörige Personal für Script/Continuity wird bereits am Set versucht, solche und ähnliche Anschlussfehler zu vermeiden. 
Nichtsdestotrotz bleiben selbst Filmklassiker, bei denen es an Regiepersonal wohl kaum gefehlt hat, selten vor kleinen Continuity-Fehlern verschont. Klar ist, dass kleine Fehler schnell vom Verstand verziehen oder in erster Linie gar nicht erst aufgefasst werden. Dennoch ist der Grad zwischen Details die nicht auffallen und denen die direkt ins Auge springen ein sehr schmaler, daher sollten diese Fehlerquellen stehts aufmerksam überwacht bleiben.  



Filmbeispiele: Continuity-Fehler während der Handlung

(Objekt im Hintergrund verschwindet im Schnittverlauf)

(Lichtschwert verändert sich beim Schuss-Gegenschuss)

(Der gefesselte Han Solo verliert beim Schnitt seine Weste)

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"Montageform" - Regeln der Continuity:

Die Hollywood-Continuity ist jedoch noch viel mehr als das passende Lichtschwert, Kostüm oder Make-Up. Bezüglich der Montageform haben sich im Laufe der Filmgeschichte diverse Continuity-Regeln etabliert, die dem Zuschauer ein möglichst einfaches und unbewusstes Verständnis der Filmgeschichte ermöglichen, sodass der Eindruck eines ununterbrochenen Geschehens entsteht. Diese Regeln werden sinngemäß unter dem Begriff unsichtbarer Schnitt (auch "découpage classique", "continuity editing") zusammengefasst. Im folgenden Abschnitt wird anhand von Beispielen auf diese, für die Continuity essentiellen, Methoden eingegangen.

"Establishing Shot" (dt. Einspieler/Eröffnungsszene)
Als "Establishing Shot" wird eine Aufnahme, meist Totale, zu Beginn des Films oder einer Sequenz bezeichnet, die dem Zuschauer eine Vorstellung von Raum und Umgebung ermöglicht. Damit dient er der räumlichen und zeitlichen Orientierung. Ein "Establishing Shot" ist besonders wichtig, wenn Protagonisten im Sequenzverlauf miteinander interagieren sollen oder es sich um einen bekannten Schauplatz wie einer berühmten Weltstadt handelt; hiermit wird die eindeutige Zugehörigkeit zum Handlungsort hergestellt.

Stufenweiser Übergang von Einstellungsgrößen
Prinzipiell sollte bei einem unsichtbaren Schnitt immer stufenweise, nicht aber  wiederholt zwischen äußerst unterschiedlichen Einstellungsgrößen, beispielsweise einer Halbtotalen und einem Detail, geschnitten werden. Wird diese Regel nicht eingehalten, so ergibt sich schnell eine orientierungslose Wirkung und der Zuschauer kann die gezeigten Bilder nicht mehr unbewusst zuordnen beziehungsweise diese miteinander verbinden.

180° Regel: Achsensprungverbot
Eine der wohl bekanntesten und zugleich auffälligsten Richtlinien der Continuity Montage ist das Verbot des Achsensprungs. Zwischen den Protagonisten einer Handlung entsteht eine Handlungslinie die das Umfeld in zwei Achsen à 180° teilt. Wird eine der beiden Seiten als Kameraposition gewählt, so darf die Handlungslinie nicht mehr ohne weiteres überschritten werden, anderenfalls tritt Desorientierung durch Seitenverkehrung innerhalb der Bildfläche auf. Eine Überschreitung ist erst dann wieder problemlos möglich, wenn ein Zwischenbild, häufig eine Totale oder ein Detail Spiel zur Neuorientierung gibt und das Seitenverhältnis auflockert.




Seit dem Kino der 1960er Jahre wurde das bewusste Brechen dieser Continuity Regel in geeigneten Handlungsmomenten als Stilmittel immer populärer. Ein klassisches Filmbeispiel für den Achsensprung findet sich in Stanley Kubrick’s "The Shining (1980)". Die offensichtlich erzeugte Handlungslinie zwischen Jack Torrance und Delbert Grady wird während einer Dialogszene in einem Badezimmer mehrfach eindeutig überschritten. Es resultiert ein zweiseitiger Eindruck, die Jack und Delbert’s gegensätzliche Aussagen verbildlichen. 




Ein ähnlicher Anwendungszweck fand der Achsensprung in eine der Schlüsselszenen von "American Beauty (1999)". Der sich in der Midlife Crisis befindliche Lester Burnham ist seinem Ziel mit der wesentlich jüngeren Freundin seiner Tochter zu schlafen zum Greifen nahe. Während dieser Szene unterteilt der Achsensprung die Handlung in Vernunft und Verführung, bei der schließlich durch einen erneuten Sprung die Vernunft gewinnt. 





Besonders gut funktioniert der Achsensprung als Stilmittel für die Darstellung von Wahrnehmungsstörungen und schizophrene Persönlichkeiten. In "Requiem For A Dream (2000)" unterstreichen desorientierende Achsensprünge gelegentlich die Stimmung von vier Drogenabhängigen. Peter Jackson zeigte durch den Monolog der Figur Gollum aus der "Lord of the Rings" Franchise, wie gut sich das Missachten der 180° Regel zum Visualisieren zweier Persönlichkeiten eignen kann. 






30-Grad-Regel
Grundsätzlich sollte bei der Montage von Nachbaraufnahmen eine offensichtliche Differenz zwischen ihren Kamerawinkeln, Bildausschnitten und Kameradistanzen bestehen, damit der Schnitt paradoxer Weise als "unsichtbar" gilt. Die 30-Grad-Regel besagt, dass sich (1) die Kameraposition bei gleicher Distanz und Bildausschnitt um mindestens 30 Grad verschoben werden muss. (2) Bleibt die Kamera an der gleichen Position muss sich der Bildwinkel der Optiken um mindestens 30° verändern. (3) Soll die Kamera auf gleicher Achse und einem Bildwinkel, der sich nicht um 30° unterscheidet bleiben, so muss zumindest die Distanz zum Objekt ausreichend erhöht werden. 
Wird die 30-Grad-Regel nicht berücksichtigt entsteht der Eindruck eines sprunghaften harten Schnittes (siehe: Jumpcut).

Coverage Verfahren
Längere Aufnahmen werden im Continuity-Film gerne mit Hilfe des "Coverage Systems" aufgelöst. Dabei wird mit drei oder mehreren Kameras gleichzeitig gedreht, wobei eine Kamera als "Master Shot" die Gesamthandlung meist als Halbtotale aufzeichnet und so als Grundgerüst der Sequenz, in das jeweilige Zwischenbilder geschnitten werden, fungieren kann. Im Schnittbereich entsteht infolgedessen viel mehr Spielraum zwischen Master Shot und den Zwischenbildern der anderen Kameras zu wechseln, zugleich ist garantiert, dass jedes handlungsrelevante Detail filmisch abgedeckt ist. Ein weiterer entscheidender Vorteil ist die Schnelligkeit und dementsprechend der ökonomisch effizientere Aspekt mit dem bei diesem Verfahren zu rechnen ist. 

Schuss-Gegenschuss(-Montage)
Dabei wird, typischerweise in Dialogen, zwischen zwei Kameras hin- und hergeschnitten, die jeweils einen der beiden Protagonisten zeigen. Es ist üblich die Schulter desjenigen anzuschneiden, der nicht im Bildfokus liegt um die Verbindung der beiden Gesprächspartner zu verdeutlichen. Natürlich ist ein Achsensprung im Sinne der Continuity dabei ausgeschlossen, zusätzlich muss die Blickachse beider Akteure genau beachtet werden, um zu vermeiden, dass sie gefühlt aneinander vorbeischauen.




Anschluss: Auftritt/Abtritt
Die Auftritt/Abtritt Regelung legt im Continuity System fest wie Figuren im Bild auftreten und zwischen Einstellungen wechseln können:
   - Hat eine Figur im ersten Bild die Bühne nach rechts verlassen, betritt sie den      Bildraum in der folgenden Einstellung von links
   - verlässt eine Figur in der ersten Einstellung das Bild, kann sie im zweiten          schon zu Beginn auftreten
   - ist die Figur am Ende des ersten Bildes zum Wechsel noch zu sehen, muss        sie das zweite Bild betreten




Einer der Pioniere, die den unsichtbaren Schnitt bis an die Spitze trieben, war Alfred Hitchcock mit seinem Film "Rope" (Cocktail für eine Leiche, 1948). Sein Ziel war es einen Film zu erzählen, ohne dass dabei die Aufmerksamkeit des Zuschauers durch einen Schnitt unterbrochen werden würde. Da die Filmrollen nur maximal 10 Minuten Material aufnehmen konnten, musste Hitchcock Möglichkeiten finden die notwendigen Schnitte zu vertuschen. Hauptsächlich gelingen ihm diese Übergänge durch starke Nahaufnahmen auf unbewegte Objekte, dessen darauffolgende Einstellung mit einem identischen Bild beginnt. Es entstand ein einzigartiger Filmklassiker der vielen der heutigen Long-Take-Filme und Plansequenzen den Weg bahnte.

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Fazit

Die Hollywood-Continuity als Erzählform ist kurzgesagt der Grund dafür, dass wir Filme so unbeschwert und intensiv mitverfolgen können. Ohne die sich nach unseren Sehgewohnheiten richtenden Regeln würde unsere Anteilnahme am Handlungsgeschehen wesentlich geringfügiger ausfallen. Zwar garantiert das Einhalten der diversen Continuity-Vorschriften einen funktionierenden Film; eine wirklich interessante Kombination entsteht allerdings dann, wenn es Regisseuren gelingt einzelne Regeln kreativ in inhaltlich sinnvollen Momenten zu brechen. Hierbei wird der Zuschauer mit einer dem Auge unbekannten Szenenauflösung konfrontiert, die ihn zugleich aktiver mit einbeziehen kann.  

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Filmcredits:
Star Wars Episode 4-6, George Lucas
The Shining (1989), Stanley Kubrick

American Beauty (1999), Sam Mendes
Requiem For A Dream (2000), Darren Aronofsky
The Hunger Games (2012), Suzanne Collins


Autor Blogpost:
Felix Schuster
912830













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