Die Entdeckung
des Kuleshov-Effektes zeigte die enorme Bedeutung der Filmmontage im frühen 20.
Jahrhundert. „Pure Cinema“ bezeichnete
es Hitchcock, bei seinen eigenen Werken. Es beschreibt die veränderbare Meinung
des Publikums durch kreatives Nutzen der Montage. Die Meinung des Zuschauers –
über eine gewisse Situation oder Emotion – entwickelt sich dabei durch die
Montagetechnik. Jedoch war die Herangehensweise von Hitchcock auf die
darauffolgende Reaktion des Darstellers bezogen. Das heißt, während die Basis –
der Kuleshov-Effekt – mit einem neutralen oder emotionslosen Gesichtsausdruck
arbeitet, beschäftigt sich „pure cinema“ mit einer gezielten Rückmeldung.
Freude, Furcht, Erregung, Neugier etc. Das heißt, der Zuschauer bekommt durch
die Montage und durch die Reaktion des Schauspielers eine autosuggestive
Antwort, welche einen klaren Eindruck hinterlassen soll.
Hitchcock
über Pure Cinema
Lev Kuleshov
(1899-1970), auch bekannt als Vater der sowjetischen Filmmontage entdeckte 1918
den – für uns gleichnamigen – Kuleshov-Effekt, welcher das Handwerk der
Filmmontage revolutionierte. Das seit je her bekannte Beispiel vom Schauspieler
Ivan Mozzhunkhin, welcher mit einem neutralen Gesichtsausdruck in die Kamera
blickt, funktioniert auch heute noch mit derselben Intensität bei der aktuellen
Filmmontage. Innerhalb des Schnittes wird auf den neutralen, emotionslosen
Gesichtsausdruck ein spezifisches Objekt oder Segment entgegengeschnitten,
welches der Zuschauer direkt assoziieren kann. Am Beispiel Kuleshovs wurde zum
nüchternen Ausdruck von Mozzhunkhin einmal eine Suppe, eine tote Frau (Mädchen) im Sarg
und ein spielendes Kind jeweils geschnitten. Dementsprechend erkennt der
Zuschauer die Vernetzung zwischen Schauspieler und den darauffolgenden Themen. Im
Zusammenhang mit der Frau im Sarg empfindet der Zuschauer die Trauer des
Darstellers. Beim spielenden Kind, empfindet man elterliche Wonne. Bei der
Suppe interpretiert man, dass die gefilmte Person hungrig ist. Alles sind
Interpretationen von demselben Gesichtsausdruck. Die Entdeckung von Kuleshov
war nicht nur bahnbrechend, sie fand auch parallel zu vielen anderen
Entdeckungen und Durchbrüchen in der „goldenen Ära“ der Sowjetunion statt.
„Soviet
Montage cinema emerged with strong popularity during the 1920’s in
Russia—featuring an approach to understanding and creating cinema that relies
heavily upon editing, the experiments Kuleshov completed were integral to the
development and success of this cinematic movement.” (Pietra T. Bruni – S.13)
Der
Kuleshov-Effekt wurde im späteren Abschnitt seiner Entdeckung weiterentwickelt.
Der Effekt bleibt vergleichbar, jedoch ist diese Erweiterung der Montage nicht
auf Emotionen, sondern auf rein optische Mittel beschränkt. Lev Kuleshov
schrieb in seinem ersten Buch – In Art Of The Cinema – darüber, dass man eine
einzige Frau abbilden kann, indem man vorher vier verschiedene Körperregionen
von anderen Frauen abfilmt. Ergo, die Lippen von der ersten, die Beine von der
zweiten usw. Diese Technik innerhalb der Filmmontage war nicht nur ein
erfolgreiches Experiment, sondern gleichzeitig ein Richtfaden für zukünftige
Filmemacher und Werbeinstitute. Heute noch wird „der perfekte Körper“ zuerst
aus Close-ups imaginär montiert und letzten Endes komplett aufgelöst dargestellt.
Oftmals erkennen wir auch am Schluss den kompletten Körper nicht, da die
dargestellte Person so überhaupt nicht existiert.
Zu
Werbezwecken ist diese Weiterentwicklung des Kuleshov-Effektes durchaus effizient.
Der Faden lässt sich dabei in jede Richtung weiterspinnen. Geht man davon aus,
dass in der obig beschriebenen Werbung man zuerst die sich öffnenden Lippen
sieht, darauf schneidet man eine sich öffnende Hand und letztendlich sich
öffnende Augen. Beim Betrachten wird nicht nur die Neugier erweckt, was die Person
gerade erblickt, sondern warum sie so überdeutlich auf etwas Bestimmtes reagiert.
In der endgültigen Auflösung wird die Person entweder vollkommen aufgedeckt
oder mindestens das Produkt, um welches es sich im Spot handelt. Die
Assoziation beim Zuschauer funktioniert. Interesse, Erregung, Perfektion,
Neugier. Der Kuleshov-Effekt an sich gilt hierbei nicht als gezwungene
Voraussetzung der Montage, jedoch findet man seine Anwendung in heutigen
Filmen, aller Art wieder und wieder. Wobei der Effekt und seine Auswirkungen
erhalten geblieben sind.
Detailreiche
Erklärung von Michael Sullivan mit einigen Beispielen.
In den
frühen 20. Jahrhundert galt offensichtlich ein bewegtes Bild, wie auch das
unbewegte Bild als in sich schlüssig und konkret. Durch die Entdeckung dieses
besonderen Montageeffektes kam es zur filmischen Revolution, da deutlich
gezeigt werden konnte, dass die „Wahrheit“, welche ein Filmmedium vermitteln
kann, durch die Abfolge des Schnittes und deren bildsprachlichen Inhalte
gestreckt, verändert oder gar manipuliert werden kann.
Durch die
politische Situation der Sowjetunion, war es zu jener Zeit relativ schwer,
eigene Filme zu produzieren, da Filmrollen oder gar die Mittel des
Filmeschaffens teuer waren. Einflüsse hierbei waren die Weltkriege,
Oktoberrevolution usw. Lev Kuleshov
besuchte zu jener Zeit das welterste Filmschul-Institution in Moskau. Gerade
wegen der politisch prekären Lage erschien es paradox, dass 1920 Kuleshov an
einer solchen Institution mit seiner Arbeit als Instruktor begann. An einer
Schule ohne eigenes Filmmaterial. Das erklärt, weshalb beim weltbekannten
Muster des Kuleshov-Effektes Kopien von anderen Filmen vorliegen. Die
Entdeckungen von Kuleshov entstanden also aus nicht eigenen Aufnahmen, sondern
aus experimenteller Auseinandersetzung mit bereits vorhandenem Material. Quasi
ein Zufallsprodukt durch Found Footage.
„The
“Kuleshov Effect” experiment, sometimes
also known as the “Mozzhukhin experiment”, is the canonical example of film montage […] despite this experiment being the one for which Kuleshov
is best remembered […], Kuleshov himself actually regarded his other montage
experiments as being more significant. ‚I think that the experiments
carried out subsequently in collaboration with my students were much more
interesting’ (Kuleshov 1973:70). […] the Kuleshov Effect experiment: the film footage itself no longer survives, yet stills are sometimes published
purporting to be from Kuleshov’s actual experiment; it is often claimed that
the film was shown to a random audience and their reactions scientifically observed, yet it has also been suggested that Kuleshov […] watched
it with just a few colleagues who gave their opinion as to its effect on them.“ (Michael Russel – S.114)
Nach einer
Studie von Pietra T. Bruni, bei welcher der Kuleshov-Effekt erneut untersucht
wurde, stellte man fest, dass auch heute noch, unabhängig vom Geschlecht, einem
neutralem Gesichtsausdruck bestimmte Emotionen zugeordnet werden können,
entsprechend des entgegenmontierten Clips.
“For
example, after viewing the stimulus-actor pairing clip pulling for enjoyment,
most participants ranked the neutral-faced actor as expressing a high level of
neutrality on his/her face. However, the second highest-ranked emotion
participants felt the actor exhibited was enjoyment, significantly higher than
sadness, neutrality, aggression, and sexual arousal. This same pattern can be
seen when examining each clip, making the observed effect more nuanced.”
Wie bereits
erwähnt, lässt sich der Kuleshov-Effekt als Basic der Filmmontage definieren,
welcher interpretativ und praktisch angewandt, endlos weiterentwickelt werden
kann.
Das meist
abgerufene Beispiel im Internet
Das
angebliche Original
Quellen:
Soviet Montage Cinema as Propaganda and Political
Rhetoric by Michael Russel – Doctor of Philosophy. The University of Edinburgh
2009.
Re-Examining the Kuleshov Effect by Pietra T. Bruni –
Bachelor of Science. University of Pittsburgh, 2015.
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