Montag, 25. Januar 2016

Die vierte Wand

Die vierte Wand am Beispiel: House of Cards (Spoilers!)

Die „vierte Wand“ ist eine Metapher für die Trennung von Bühne und Zuschauerraum. Im Theater des späten 19. Jahrhunderts, unter dem realistischen Schauspielstil, kam diese auf. Die Figuren verhalten sich so, als wäre die Bühne ein geschlossener Raum, der nur vom Publikum aus wie ein Puppenhaus einzusehen ist. Die „vierte Wand“ existiert somit weiterhin für die Welt der Handlung. Durchbricht eine Figur nun diese Wand und tritt mit dem Publikum in Kontakt, durch eine Ansprache oder aktive Handlung, kann es sein, dass für den Zuschauer die Illusion der Handlung zerstört wird oder sich das Weltbild der Figur verändert. Diese wird dann das „Durchbrechen der vierten Wand“ (engl. breaking the fourth wall) genannt.

Der Blick ins Publikum oder in die Kamera ist in dem Stil des realistischen Schauspielstils ebenso verpönt wie die unmittelbare Ansprache des Publikums oder auch ein ans Publikum gewendeter innerer Monolog.

Jedoch wurde das „Durchbrechen der vierten Wand“ im Film immer wieder versucht um somit die Trennung zwischen Spiel- und Publikumswelt aufzuheben. Zum Beispiel dreht sich am Ende von The Great Train Robbery (1903) der Revolver zur Kamera hin; oder Amelie (2001), die uns im Kino erzählt, wie sehr sie es liebt, den Leuten in der Dunkelheit ins Gesicht zu sehen. Aber auch in Filmen wie Fight Club (1999) oder The Wolf of Wallstreet (2013) brechen die Figuren, in oft kurzen Einstellung und teilweise nur einmalig, die „vierte Wand“ und blicken direkt in die Kamera. Dieses wird oft nur als nette Spielerei eingesetzt, kann aber auch den Plot vorantreiben oder den Zuschauer beim Verständnis der Handlung helfen.

Genau dies sehen wir in der aktuellen Fernsehserie House of Cards (seit 2013), in der kontinuierlich vom Hauptcharakter Francis Underwood (gespielt von Kevin Spacey) die „vierte Wand“ als Stilmittel durchbrochen wird. Die Serie erzählt die Geschichte eines Abgeordneten, der mit seiner gleichermaßen machthungrigen Ehefrau, Claire Underwood (gespielt von Robin Wright), ein System von Intrige, Korruption und Mord kreiert, um die Macht im Weißen Haus an sich zu reißen.



Unmittelbar in der ersten Minute der ersten Folge durchbricht Frank Underwood die „vierte Wand“. Nur sind wir uns dabei noch nicht hundertprozentig sicher, ob er uns, die Zuschauer, anspricht oder nur laut denkt, da er noch nicht direkt in die Kamera blickt. Jedoch lernen wir recht schnell, dass Frank zu uns, dem Zuschauer, spricht, da es wenige Momente später wieder passiert und er diesmal weniger schüchtern ist und uns direkt anblickt.


Aber warum spricht Frank zu uns und welche Auswirkung hat dies auf den Zuschauer? Das „Durchbrechen der vierten Wand“ wird häufig mit Shakespeares Werken assoziiert. Jedoch hat es dort einen komödiantischen Effekt und House of Cards nimmt sich selbst viel zu ernst, als dass es Witze über die Gedanken des Hauptcharakters machen will.

Frank spricht somit nicht zu uns, um uns zu erklären was in seinem Kopf vorgeht, sondern um uns seine Strategie zu erklären und zu versichern, dass er eine habe. Dies treibt die Handlung natürlich stark voran und man gewöhnt sich schnell an die Ansprachen, die Kevin Spacey in seiner Rolle an uns richtet.

Des Weiteren baut das „Durchbrechen der vierten Wand“ eine Verbindung zu Frank auf. Die direkte Adressierung fasziniert uns nach kurzer Zeit und sorgt dafür, dass wir für Frank Sympathie entwickeln, selbst wenn es unbehaglich wird. Durch seinen zynischen Humor und durch seine frechen, provokativen Aussagen, bei denen wir Gott mehr in Frage stellen, als das falsche Handeln von Frank, schlagen wir uns auf seine Seite. Wir beginnen zu glauben zu verstehen wie Frank tickt. Wir sehen Frank dabei zu, wie er schreckliche Dinge tut, doch indem er zu uns spricht, lässt er uns wissen, warum er das tut. Dadurch, dass er uns oft nach seinem Handeln anschaut, wirkt es so, als wären wir direkte Zeugen seiner Taten, welche wir nicht verhindern. Wir befürworten seine Aktion dadurch, dass er uns, die Zuschauer, bzw. die Kamera, als besten Freund behandelt, als die einzige Person, der er vertraut und wir wollen, unterbewusst, dieses Vertrauten nicht missbrauchen.

Wir erwarten somit auch seine Anerkennung und seine Ansprachen. Wie im folgenden Beispiel, in dem er auf Vogelbeobachtung geht und wir regelrecht fühlen, dass er sich bald zu uns umdrehen wird, da ihm das gesamte Gespräch mit dem Charakter Raymond Tusk (gespielt von Gerald McRaney) auf die Nerven zu gehen scheint.



Die Serie fängt sogar in der 2. Staffel an mit uns zu spielen, da wir mittlerweile die „Durchbrechung der vierten Wand“ erwarten und es uns eher irritiert, wenn es lange Zeit nicht auftritt. In der ersten Folge der 2. Staffel spricht Frank nämlich bis zum Ende nicht mit uns und meldet sich dann mit einem „Dachten Sie ich hätte Sie vergessen?“ zurück und das, nachdem er in jener Folge einen Mord an Zoe Barnes (gespielt von Kate Mara) begangen hat und wir die ganze Zeit auf eine Erklärung dafür warten.




Diese Art von Stil lässt zudem auch viel Raum um kreativ zu sein. In Folge 13 der ersten Staffel sitzt Frank in seinem Büro und wartet darauf, ob sein Plan funktioniert hat. Er blickt auf die Uhr und somit auf in die Kamera, da wir uns hinter den Zifferblättern befinden. Er erzählt uns seine Gefühle zum Thema Warten und die Position der Kamera verleiht seinem Leid noch zusätzlichen Nachdruck. Ein sagenhafter Shot.


Title: House of Cards
Produktionsjahr: seit 2013
Produktionsland: USA
Regie und Produktion: David Fincher
Hauptdarsteller: Kevin Spacey, Robin Wright, Kate Mara
Länge: ca. 55 Minuten pro Folge, 39 Episoden (3 Staffeln) weitere in Aussicht
Genre: Plot Thriller/ Drama


Andrés Watzal

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